
Curriculum vitae von Hans Franz Rütter
Bürgerort Wädenswil und Inwil
Hans Rütter ist am 24. Mai 1915 in Wädenswil geboren, wo er eine glückliche
Kindheit und Jugend verlebte.
Sein Vater war Inhaber einer Textilfabrik. Das grosse Wohnhaus war mit dem
Fabrikgebäude zusammengebaut, sodass Hans Rütter und seine drei Geschwister
schon früh in enge Berührung kamen mit der interessanten und anspruchsvollen
Tätigkeit ihres Vaters. Die vielfältigen Arbeitsprozesse, die in einer Fabrik
vollzogen werden müssen, weckten die Neugierde der Kinder. Sie kannten sich aus
in allen Räumlichkeiten und spürten schon früh den Kampf, der durch Konkurrenz
anderer Firmen den Vater und seine Belegschaft zu besonderen Leistungen
anspornten. Schöpferische Einfälle, innovatives Denken wurden von sämtlichen
Mitarbeitern entgegengenommen und geprüft.
Das Dach der Fabrik war flach und ausgebaut zu einer riesigen Terrasse, auf
der sich gegen Süden eine verträumte Laube befand, dicht bewachsen mit
Glyzinien, wohin sich die Familie zurückzog nach getaner Arbeit und während
freier Stunden.
Auf dieser Terrasse eröffnete sich dem Beschauer ein überwältigender
Ausblick über den Zürichsee und in die Glarneralpen; ein Bild, das sich
unauslöschlich einprägte.
Durch das Naturschauspiel eines Sonnenaufgangs an klaren Tagen wurde man.
Immer wieder von erhebenden Gefühlen ergriffen. Der Feuerball stieg langsam
zwischen den Bergspitzen, die sich wie dunkelviolette Schattenrisse vom blassen
Blau der Morgendämmerung. des Himmels abhoben, empor. Die leuchtenden Strahlen
blitzten auf, warfen ihr goldenes Licht über die Berge und den See. Das Wasser
schimmerte und glitzerte. Es war, als hätte sich das Tor einer fernen, uns
unbekannten Welt geöffnet, und Fragen drängten sich auf über das Geheimnis der
Natur und des Lebens (*).
Hans Rütter wuchs in diesem Spannungsfeld von Arbeit und Mühe zur Sicherung
der Existenz und dem Denken und Forschen über das Numinose auf. Es bestimmte
seine Strebungen und seinen Werdegang.
Nach dem Wunsch seines Vaters absolvierte er das kantonale Handelsgymnasium
in Lausanne mit der Handelsmatura. Es folgten ein paar Jahre praktische
Tätigkeit im elterlichen Geschäft. In der Freizeit schrieb Hans Rütter mit
eiserner Disziplin täglich Aufzeichnungen in sein Tagebuch. Es waren Essais und
Aphorismen über das Geschäftsleben, Kultur, Philosophie, Religion und über den
Gewinn sportlicher Ertüchtigung. Er war ein begeisterter Sportler und übte sich
in verschiedenen Disziplinen: Bergsteigen, Skifahren, Segeln, Schwimmen,
Handball und Tennis.
Er konnte sich nur dann als ganzen und wertvollen Menschen betrachten, wenn
er Beruf und Berufung gleich ernst nahm, damit sie sich gegenseitig
befruchteten.
Es drängte ihn immer mehr, seine Kenntnisse in Philosophie und Literatur zu
erweitern. Er bestand die Lateinmatura und nach 4 Jahren Hochschulstudium an
der Universität Zürich promovierte er in Philosophie bei Eberhard Grisebach mit
den Nebenfächern Romanistik und Germanistik. Seiner Neigung zu praktischer
Tätigkeit folgend, schlug er eine ihm angebotene akademische Laufbahn aus.
Nach seinem akademischen Abschluss heiratete er die Mitstudentin Silvia
Merk. Aus der Ehe ging ein Sohn hervor mit dem Namen Benedict Bernhard.
Hans Rütter arbeitete zuerst in einem Verlag, dann durch mehr als zwei
Jahrzehnte wieder im Industrieunternehmen seines Vaters. Mit Begeisterung
stellte er sich den schwierigen Aufgaben und Entscheidungen. Während mehreren
Jahren amtete er als Präsident des Industrie-Arbeitgeber-Vereins
Wädenswil-Richterswil. Seine noble Menschlichkeit wurde von allen geschätzt.
In den Mussestunden las er viel über Philosophie, Kulturgeschichte und
Physiologie. Seine Tagebücher nahmen einen immer grösseren Umfang an.
Nach vielen Jahren des Erfolges in der Industrie zwang ihn eine schwere
Krankheit, sein Arbeitspensum zu reduzieren.
Als Hans Rütter ganz aus der Firma austrat, arbeitete er
als freier Schriftsteller. Diese Freiheit erlaubte es ihm, seine Kräfte zu
schonen, aber auch, sich auf die neue Aufgabe zu konzentrieren.
Es ist ihm gelungen, mehrere Werke zu vollenden, deren
Entwürfe zu einem grossen Teil bis in seine Jugendjahre zurückreichen. Sie sind
in drei verschiedenen Verlagen erschienen unter dem Pseudonym Hans F. Geyer.
1. "Gedanken eines philosophischen Lastträgers",
Origo-Verlag, Zürich, 1962
2. "Philosophisches Tagebuch" in 6 Bänden, Rombach-Verlag,
Freiburg, 1969-1974
3. "Physiologie der Kultur" (Es ist das erste Buch eines
abgeschlossenen 3-teiligen Werkes) Suhrkamp-Verlag in Frankfurt am Main, 1985.
Verschiedene sportliche Aktivitäten musste Hans Ritter im Alter aufgeben:
Skifahren und Bergsteigen. Trotzdem verspürte er kürzlich an einem schönen
Herbsttag einen unwiderstehlichen Drang, wieder einmal auf einen Berg zu
fahren, den Gipfel zu erklimmen und das herrliche Algenpanorama zu sehen, so
weit das Auge reicht. Von diesem Berg ist er nicht mehr zurückgekehrt.
Verlesen an der Abdankungsfeier am 10. September 1987 auf dem Friedhof
Rüschlikon
Zitate zum "Vorsüden"
*Aus Hans F. Geyer:
Gedanken eines philosophischen Lastträgers, 1962, 51-52.
Philosophisches Tagebuch, Bd. I: Von der Natur des Geistes, 1969, 98-99.
Vorsüden. [30.3.58.] Am Sonntag vor Ostern. Heute morgen flanierte ich an den Ufern
der Reuss, in der Sonne, an der Grenze der Luzerner Altstadt. Nie zuvor hatte
ich eine so deutliche, ja, eine mit fast halluzinatorischer Macht auf mich
eindringende Vision des Vorsüdens wie diesen Morgen. Es ist das Land vor
dem Alpenriegel, dem grauen Felsenschloss, welches zu öffnen, um nach Süden zu
fahren, der Wanderer einst mit Mühe und Schweiss zahlen musste. Es ist das
südlichste nördliche, das nördlichste südliche Land, es ist noch nicht
gehaltenes Versprechen, es ist Vorfreude der Freude des Südens, es ist das
Land, das in einem Licht liegt, in das schon der Glanz des Südens hineinspielt,
vermischt noch mit grauer Dämpfung des Nordens. Die Vorfreude ist die schönste
Freude, und der Vorsüden scheint mir schöner zu sein als der Süden selbst.
Aber was wäre diese Schönheit ohne den Süden? Ich glaube, dass der
Süden nie anders wirklich werden kann für uns als eben durch seine
Wirklichkeit, aber auch durch die Sehnsucht nach ihr, durch die Sehnsucht, die
sogar Wirklichkeit wird in einem Zwischenreich, einem Zwischenbereich
von Norden und Süden, wo die dunklere Kraft des Nordens in der lichten
Atmosphäre des Südens zu sich selbst kommt.
Der Süden, so wie wir ihn im tiefsten verstehen, ist nur dort, wo er noch
nicht ist, wo er im Bewusstsein erst wird, dort, wo der Schnee des Nordens
schmilzt in der Wärme des Südens, aber langsam schmilzt, was,
gleichnishaft gedeutet, auf einen historischen Prozess hinweist, der
Jahrhunderte dauerte, einen historischen Prozess, der sich überall dort
abspielte, wo Völker des Nordens nach Süden zogen, so im alten Griechenland, in
Italien, in Spanien. Über den höchsten Errungenschaften unserer europäischen
Kultur liegt gerade dieses Licht, das eigentümlich schillernde und brütende,
geradezu unglaubhafte Licht einer Sönne des Südens, deren blendende Strahlen
reflektiert werden vom Schnee des Nordens, eine wahre Weissglut aus
Geist und Leidenschaft.
[nur im Philosophischen Tagebuch I, 99-10:]
Das Unendliche des Südwehs. Es ist ein Weh, von dem man nur sagen kann, dass für es
genug nicht genug ist. Seiner Natur nach transzendiert es jegliche Grenzen, es
ist ein unendliches Streben, das seine endliche Form erst noch sucht und mit
nichts zufrieden sein kann, bevor es sie gefunden hat. Aber auch diese endliche
Form, mag sie noch so sehr Erfüllung sein, wird einmal nicht mehr genügen.
Es ist die Art dieser Unendlichkeit, zwar nach einer Endlichkeit zu
streben, danach zu streben, sich in schönen Grenzen zu vollenden, in ihnen zu
gelten, gültig zu sein; aber auch die Tragik jeglicher Endlichkeit zu
erleben. Es ist das ewige Streben der Woge, die, aus der Unendlichkeit anrauschend,
die Form der wehrenden Klippe annimmt, aber auch, von ihr zerschnitten, hoch
und schön aufschäumt, die Klippe überflutend und unter sich begrabend.
Die Endlichkeit des Südens ist die Herausforderung der Unendlichkeit des
Nordens. Sie ist wie der Strand einer seligen Insel, wogegen die Unendlichkeit
des Nordens anbrandet, kurze Zeit verweilend, um sich wieder zurückzuziehen.
Was der Norden im Süden sieht, ist schliesslich gar nicht mehr dessen Form,
sondern die Sprengung von dessen Form, nicht mehr dessen physische
Leidenschaft, sondern deren Transzendenz und Übersetzung ins Geistige. So ist
der Süden, gerade weil er sich selbst genug ist, dem Norden nicht und nie
genug, sein »genug« wird ihm nie und nimmer genügen können. Die eigentliche
Unendlichkeit des Nordens aber vermag nur der Süden zu entfesseln, so wie die
schöne Natur einer Frau den Geist eines Mannes entflammt.